Schrecklich schön

Schrecklich schön

2001 begegnete ich Peter Sengls Arbeiten zum ersten mal bewusst: „Schrecklich schön“ hieß die Retrospektive im Wienmuseum. Dort: seine in Verschraubungen, Verspannungen, Verklemmungen gefangene Figuren. Trotzdem wirken sie stolz und frei, nehmen die Modifikationen fast teilnahmslos hin, und oft ist ein schelmisches Augenzwinkern dabei.

Ich dachte mir, „wow“, rief den Künstler an und wurde eingeladen.

Sengls Atelier ist ein Pandemonium prachtvoller Absonderlichkeiten, eine Wunderkammer nach meinem Geschmack, und mittendrin eine präparierte Kuh – Peter Greenaway hatte sie für seine Ausstellung „hundert Dinge erzählen die Welt“ im Waldviertel bestellt und danach zurückgegeben, Sengl hat sie gekauft. Ich konnte Sengl damals für eine „erotische Familienausstellung“ in meiner Galerie gewinnen: Mit seiner Frau Susanne Lacomb und seiner Tochter Deborah Sengl verwirrte das Gespann meine Besucher.

Immer in grellbunt gemusterten Maßanzügen, wirkt Sengl wie ein Renaissance-Malerfürst. Seine Welt erinnert an Herzmanovsky-Orlando, und seine Bildtitel passen dazu, rätselhaft, ironisch, poetisch sind sie: „Daungelassene Blumenrosenschultertränenquart für mein Grab“ liest man da, oder „Neunfacher Schwanungsblick“; als er meine Freundin malte, wurde daraus „Ingrids Blumentatoo-Tanz mit Clementine und Holunder“.

Gestern wurde Sengl 80 Jahre alt, und in einer Innenstadtgalerie wurde gefeiert.

https://www.suppanfinearts.com/de
http://www.petersengl.at/

Die große Achse von Cergy-Pontoise

Die große Achse von Cergy-Pontoise

Weit draußen vor den Grenzen von Paris liegt ein Strich in der Landschaft. Eine Linie spannt sich von spröden Wohnblocks zu einer gefluteten Kiesgrube: Die „Axe Majeur“, die „Hauptachse“ – ein riesiges  Architektur-Kunstwerk des israelischen Künstlers Dani Karavan. Die Achse beginnt mit einem leicht geneigten Turm im Mittelpunkt der neobarocken Wohnanlage von Ricardo Bofill und strahlt dann über die Mäander der Oise mehr als 3 Kilometer ins Land. Seit 1986 werden immer wieder Etappen eröffnet, zuletzt 2008 die rote Brücke. Die „Achse“ ist Kunstwerk, Sehenswürdigkeit und Identifikationsobjekt der „Ville Nouvelle“ von Cergy-Pontoise, einer der Satellitenstädte um Paris.

Wie so oft in Frankreich gelingt die Kombination von Monumentalität und Harmonie. Viele Elemente des Kunstwerks haben symbolische Bezüge, wie die 12 Säulen, die die 12 Stunden des Tages zitieren. Ungerührt von der Topografie läuft die Achse geradlinig durch die Landschaft, durchquert den Garten der Menschenrechte, überspannt ein Amphitheater, eine Bühne, einen Teich. Während die Achse Spazierweg, Raum zur Kontemplation, zur Entspannung ist, inspiriert sie auch zu neuer Kreativität: fast immer trifft man auf Modefotografen oder Filmteams.

Noch ist die Achse nicht vollendet: Eine kreisrunde Insel mit astronomischen Skulpturen soll zum Schlusspunkt werden. Eine kleine Steinpyramide ragt bereits aus dem See, der Brückenschlag fehlt noch; auch danach soll der Schotterteich Lebenswelt für ungewöhnliche Wasservögel und Wildpflanzen bleiben.

https://www.axe-majeur.fr

Welt der Wunder

Welt der Wunder

„Das Antiquariat schien einerseits nach hinten im Gebäude zu versickern, andererseits wie ein Trichter Eigentümliches aus aller Welt und aller Zeit einzusaugen, um es auf dem ständig überquellenden Pult auszuspucken.“

…eine Wiener Wunderkammer inspirierte mich so sehr, dass ich sie als Handlungsort für meinen Roman „Das verdammte Manuskript“ nach Paris verpflanzte, wo ich sie in der Galerie Vero Dodat ansiedelte. Dabei war diese historische Passage selbst ein Ort der Wunder, die verstaubten Geschäfte bewahrten wie rätselhafte Schatullen noch in den 1980ern Seltsamkeiten sonder Zahl: historische wissenschaftliche Gegenstände, ein Vogelgerippe unter einem Glassturz oder riesige tropische Falter, wie bunte Blumen in einem Rahmen arrangiert – all das hinter matten Auslagenscheiben in trübem Licht.

Die Idee der Wunderkammern stammt aus der späten Renaissance, als die Sammlungen kurioser Gegenstände noch unwissenschaftlich präsentiert wurden; die fast kindliche Naivität macht aber den Reiz aus. Für mich ist es die rein ästhetische Zusammenstellung der Exponate, die Konzentration purer Schönheit auf engstem Raum, die diese Sammlungen so anziehend macht. In Venedig ist das Museo Furtuny, der frühe Palast des gleichnamigen Bildhauers, Erfinders und Architekten, ein solcher Ort.

Nach langer Geringschätzung wurde die Idee der Wunderkammer in letzter Zeit auch von Museen wieder entdeckt. Mit seinen „Boxes“ hat der amerikanische Künstler Joseph Cornell zahlreiche Miniatur-Wunderkammern geschaffen, 2015 waren seine fragilen Arbeiten im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen; in der Sammlung Heidi Horten schufen Hans Kupelwieser und Markus Schinwald mit dem „Tea Room“ einen besinnlichen Raum der Kontemplation, in dem Hortens Sammlung kunstgewerblicher Kleinode hinter kreisrunden Luken gezeigt werden.

Linz: Die Ars Electronica in der Post City

Linz: Die Ars Electronica in der Post City

Mit dem Abriss der Post-City verliert Linz die interessanteste Ausstellungs-Location Österreichs

Es ist ein moderner Lost Place: Bis vor zehn Jahren war das von außen unspektakuläre Betriebsgebäude eine einzige riesige Maschine, in der Menschen nur eine Nebenrolle gespielt haben. Sortieranlagen und kilometerlange Förderbänder waren das Adernsystem unter der Stahlbetonhaut, die dreidimensionale Maschinenstruktur mit ihren spiralförmigen Paketrutschen zieht sich durch mehrere Geschoße. Raumgrößen und -höhen waren auf die Riesenmaschine abgestimmt, LKW-Auffahrtsrampen und Rangierräume im ersten Stock spannen ebenso riesige Räume auf wie die ebenerdige Gleishalle; dazwischen dann fast winzige Büroräume, das „Hauptstiegenhaus“ ist kleiner als das in manchem Gemeindebau. Im Keller, dem „Bunker“ dann nackte Betonhallen und enge Korridore: rohe industrielle Strukturen, die gleichzeitig Möglichkeitsräume öffnen, insgesamt etwa 100.000 Quadratmeter.

Dabei war das Verteilzentrum nur zweieinhalb Jahrzehnte lang in Betrieb; zu schnell hat sich das Geschäft der Post verändert, zu sehr hat die verkehrsgünstige Lage neben dem Bahnhof Begehrlichkeiten geweckt. Inzwischen stehen die Förderbänder still, die Paketverteilung wurde nach Allhaming auf die grüne Wiese verlegt, ein Bahnanschluss ist heute nicht mehr gefragt.

Als Zwischennutzung bespielt seit 2015 das Ars Electronica Festival einmal im Jahr das Areal, und für dieses einzigartige Zukunftslabor gibt es keinen passenderen Ort als die tote Maschinenwelt. Die Ars Electronica verwandelt die bizarre Poststation in eine Wunderkammer digitaler Kunst, in Österreich viel zu wenig wahrgenommen, dafür international umso bekannter – es ist das weltweit größte Festival für die Auseinandersetzung mit der digitalen Zukunft, für Kreativität, für Medienkunst.

Dass die „Post-City“ der Stadt verloren geht, banalen Wohntürmen weichen soll, ist ein dramatischer Verlust: Ich kenne europaweit keinen besseren Ausstellungsraum. Mit der Ars Electronica gehört Linz zur weltweiten Avantgarde; das erst wenige Jahrzehnte alte Gebäude abzureißen ist nicht nur kulturell ein Drama: Statt visionärer Kunst gestrige Stadtplanung, Wohnklötze zwischen einem Autobahnzubringer und dem Gleisfeld des Hauptbahnhofes – Investoren haben sowieso schon abgewunken. Als Wohnquartier ist das Areal fragwürdig; für ein Veranstaltungszentrum kombiniert mit universitärer Nutzung wäre die Lage ideal. Von einer „fortwährenden Zwischennutzung“ hätte die Stadt wohl mehr – auf Dauer.

Aus dem Buch "Brüsel" Mit freundlicher genehmigung von mit freundlicher Genehmigung von François Schuiten

In der Welt der Geheimnisvollen Städte

François Schuiten ist ein Star der belgisch-französischen Comicszene; Graphic Novels haben im französischsprachigen Raum eine ungleich höhere Wertschätzung als in Deutschland oder Österreich. Berühmt geworden ist er mit der Alben-Serie „Die geheimnisvollen Städte“, die er zusammen mit dem Autor Benoît Peeters geschaffen hat. Schuiten stammt aus einer Architektenfamilie; als Kind sah er Modelle und Zeichnungen, hat die katastrophale Entwicklung Brüssels seit den 1960er-Jahren miterlebt: „Brüsselisierung“ ist ein eigenes Architekturfachwort, das die rücksichtslose Opferung historischer Stadtstrukturen beschreibt.

Die Serie der „Cités Obscures“ erzählt dystopische Geschichten, in der die Städte einer mysteriösen Parallelwelt die Hauptrolle spielen: ähnlich der Realen, aber leicht verschoben, voller kunstgeschichtlicher Andeutungen, Verknüpfungen, versteckter Hinweise. Dabei berühren sich die Welten manchmal sogar, wie in der Pariser Metrostation „Arts et Métiers“, die Schuiten gestaltet hat; auch das Brüsseler Museum „Train World“, das Maison Autrique des Jugendstilarchitekten Victor Horta und zahlreiche andere Ausstellungen wurden von ihm entworfen und damit Teil des Vexierspiels.

Während in „Die Mauern von Samaris“ eine Stadt ganz im Stil von Victor Horta idealisiertes Spiegelbild Brüssels ist, behandelt das zentrale Werk „Brüsel“ die städtebauliche Katastrophe der belgischen Hauptstadt, die Zerstörung durch die Bauspekulation, den Größenwahn. „Brüssel hat die Verbindung zu sich selbst und seiner Geschichte verloren. Die Stadt ist wie mit einem Messer in Stücke geschnitten worden; das Zeichnen hilft da ein wenig beim Heilen. Als Zeichner mache ich Schneiderarbeit und versuche die Wunden zu vernähen“, sagt Schuiten im Interview.

Nirgendwo ist man den dunklen Städten näher als im Pariser Atelier von Schuiten. Es ist ein kleines, lichtes Haus in einem Arrondissement, in dem Paris noch ein wenig seiner Ursprünglichkeit bewahrt hat, und ein Schatzkästchen voller Artefakte: Ich kann ihren jeweiligen Platz im Universum der „Dunklen Städte“ präzise verorten. Es ist für mich ein aufregender Besuch; meine Interessen drehten sich immer um Architektur, Urbanismus und Soziologie, die „Dunklen Städte“ waren mir seit dem ersten Band seelenverwandt. Hier bin ich in der Herzkammer dieser Welt, und ein Phänomen tritt auf, das ich von meinen Architekturprojekten kenne: Gedachtes, Gezeichnetes klappt aus der Phantasie in den dreidimensionalen Raum, während Schuiten mit kraftvollen, ausladenden Gesten über Details der von ihm geschaffenen Welten und künftigen Projekten spricht. Zwischendurch greift er immer wieder zur Tuschefeder, während unseres Gesprächs entsteht ein Portrait von Captain Nemo, dem Held des letzten Bandes der „Cités Obscures“. Präzise und scheinbar mühelos setzt Schuiten im Stil alter Kupferstiche Strich neben Strich.

„Die Rückkehr von Kapitän Nemo“ wird möglicherweise der letzte Band der Serie und verknüpft Jules Vernes Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ mit dem „Dunklen Kontinent“. Neben Vernes Romanheld ist ein Hybridwesen aus Octopus und Nautilus Hauptdarsteller, und als riesige Metallskulptur ist es auch Teil eines Projekts für die Heimatstadt des Autors. In Amiens entsteht mit „Auf den Spuren von Jules Verne“ ein Pfad mit Erinnerungsorten und Kunstwerken, hier wird die Skulptur künftig auf einer Terrasse über der Stadt thronen. Ab Dezember wird sie sich aber für einige Monate vor dem Brüsseler Justizpalast aus dem Boden tauchen – auch dieses monströse historische Gebäude spielt eine wiederkehrende Hauptrolle in den „Geheimnisvollen Städten“. Auf seiner Reise verbindet der Octo-Nautilus von Kapitän Nemo damit reale und utopische Welten in einer Stadt, die sich mit ihrer Geschichte und ihren Möglichkeiten immer schwer getan hat.

Altaplana.be – eine umfangreiche Seite zu den Geheimnisvollen Städten
Atlantic12.com – Druckgrafik von François Schuiten
François Schuiten auf Facebook

Veröffentlichung der Bilder mit freundlicher Genehmigung von François Schuiten

Joachim Luetke

Joachim Luetke

Ich kenne Joachim Luetke ja schon länger, allerdings nicht sehr gut; es begann mit den „Böse-Buben-Treffen“, bei denen sich ältere Herren, gerne langhaarig, zu launigen Gesprächen treffen und dabei grimmig dreinschauen, um wen netten kennen zu lernen. Jahre später flirtete Joachim auf Facebook ausreichend konsequent mit meiner Freundin, um ihr zu ermöglichen, uns frech bei ihm einzuladen. Und gut wars: Am Fuß der romantischen Semmering-Bahnstrecke, im Mikrokosmos der ehemaligen Papierfabrik Schlöglmühl, hat sich der Multimediakünstler eine morbid-elegante Wunderkammer geschaffen.

Joachim hat in Wien bei Hausner studiert, die Surrealisten waren erste Inspiration, H.R.Giger dann das Leitmotiv. Mir haben seine Skulpturen, leider unbezahlbar, immer am besten gefallen, sie wirken wie von Alien-Filmsets übriggeblieben und spielen mit Verfall, Tod oder politisch verwerflichen Symbolen: geknechtete und bandagierte Säuglinge mit Füßen aus Hühnerkrallen, verrostete Klonkrieger, skelettierte Generäle mit einem Durchlauferhitzer als Unterleib – archaisch und grandios. Der internationale Erfolg ließ sich nicht vermeiden, Stars von Marylin Manson abwärts baten um Plattencovers, die Suche nach den Brüchen des Menschseins bestimmten den Stil.

In früheren Interviews betonte Joachim die Doppelbödigkeit der Realitäten und Religionen; ich persönlich mag ja die Anekdoten, die doppelten Brüche, die wahren Skurrilitäten: Wenn die Protagonisten dunkel-mystischer Zwischenwelten in die banale Realität kippen, beispielsweise die immer weiß geschminkte, transgeschlechtliche Diva Anna-Varney Cantodea (Sopor Aeternus & The Ensemble of Shadows), zu Gast für Fotoproduktionen im Narrenturm, mit den Zeugen Jehovas an der Studiotür zusammentrifft – das Thema satanisch-queere Inklusion dürfte zu sperrig gewesen sein, und über die Bibel wollten sie dann auch nicht sprechen.

An einem warmen Spätsommertag sitzen wir im weichen Licht der historischen Veranda, trinken G’spritzten und knabbern am Mohnstrudel; ich fühle mich wohl, weil alles im Blickfeld einfach schön ist. Die Symbole und Reliquien sind stimmig arrangiert, die Sonne lässt einen Schädel aufglühen, die Spinnweben glitzern; „Nein, Putzfrau habe ich keine, die würden doch alle davonlaufen!“ – selbst haben mich Totenköpfe und Menschenknochen nie irritiert, es sind schlichte, natürliche Gegenstände wie Äste oder Hirschgeweihe und schon deswegen einfach ästhetisch.

„Wie stellst du dir deinen Tod vor“, fragt meine Freundin unvermittelt, wie es ihre Art ist, und inmitten der sorgsam angerichteten Schönheit in der Jugendstilvilla wird Joachim unspektakulär pragmatisch. „Im Liegestuhl im Garten, wenn die Sonne durch die Blätter blinkt“: All der inszenierte Grusel löst sich auf, Joachim zieht sich die Gummistiefel an, und wir gehen hinaus in die samtige Luft des späten Nachmittags. Tatsächlich war die in der Semmeringlandschaft eingebettete Villa in den letzten 120 Jahren Schauplatz einiger echter Tragödien; nun, als Schatulle für Versatzstücke dunkler Welten, erlebt sie ihre vielleicht friedlichste Epoche.

Links:
Sopor Aeternus
Joachim Luetke (leider veraltet)
Joachim Luetke auf Facebook