Man wird ja durch wiederholten Aufenthalt Patriot immer neuer Städte und Länder. Berlin ist so ein Ort: hässlich, wild, unbeholfen, skurril, eigenartig – und doch ungeheuer anziehend.
Bis heute ist die Dichte der Geschichte spürbar, und immer wieder frage ich mich, wie es hier vor der Wende war – wie es sich anfühlte, Seite an Seite zu leben mit einer völlig anderen Stadt gleichen Namens, im ummauerten Westteil, in dem man trotzdem freier war als im stasiüberwachten Osten: Zwei Städte zum Preis von keiner.
Heute hat Berlin nichts an Eleganz wie Paris, Wien oder Prag. Berlin ist mehr Idee als Stadt: An der Schönhauser Allee, wo die Hochbahn über Tramway-Schienen und regennassen Asphalt donnert, ist die weltstädtische Urbanität der 1920er greifbar; einige Blocks weiter an der S-Bahn am Prenzlauer Berg reibt sich die Gentrifizierung der 2020er an Feuermauern und Ostblock-Tristesse.
Mitten im Zentrum ragt das graue Nazi-Ministerium über den antifaschistischen Schutzwall der ebenso grauen DDR; am Kottbusser Tor dann Cyberpunk-Endzeitstimmung von 2040, dazwischen bunte Pop-Art an den U-Bahn-Stationen oder abrissgefährdete Reste der Ostmoderne wie am Jahnstadion von 1987 – und irgendwann wird das letzte von Punks besetzte Haus der Stadt unter Denkmalschutz gestellt, wird Kreuzberg zu Montmartre.