Budapest, vor einigen Tagen (Sommer 2015). Der Keleti-Bahnhof (von dem die Züge nach Westeuropa fahren) ist belagert – von Wochenendtouristen, Interrailjugendlichen und Flüchtlingen. Vor dem Bahnhof gibt es nicht nur 35°C, sondern auch eine Betreuungseinrichtung und Wasser, ein schattiger Bereich ist provisorisch etwas abgetrennt. Im Park nebenan waschen die Menschen ihre Leiberln.
Dann, im Zug nach Wien, im bunt gefüllten Speisewagen, zwischen bierseligen Jugendlichen und ungarischen Kellnern nebst meiner Wenigkeit eine Familie, deren Outfit ebenso heraussticht wie die überdeutliche Unsicherheit, mit der sie sich in den Wagen drückt. Ich wundere mich, dass die Familie mit dem Railjet nach Wien reist und gehe nicht davon aus, dass sie das Ziel erreichen wird. Scheu setzt sich der etwa 15jährige Sohn mit seiner kleinen Schwester auf den leeren Sitzplatz, mir gegenüber, nachdem ich ihm deutete Platz zu nehmen; ich lächle ihn an, frage ihn, „english? francais? deutsch?“, die Antwort ist jedesmal ein bedauerndes kopfschütteln. Er ist gut erzogen, das merke ich an seinen Bewegungen und seiner Art; ordentlicher Haarschnitt, paar Pubertätspickel, Bartflaum.
Ich beschließe ihn zum Essen einzuladen, sobald wir unterwegs sind. Soweit kommt es nicht – die Grenzpolizei erscheint, „Passport?“, die Familie wird noch kleiner als sie schon ist; in Kelenföld – dem Budapester Meidling – ist die Fahrt schon wieder zu Ende. So deutlich wie kaum je spüre ich die weit offene Schere zwischen meinem grenzenlosen Europa und dem der Flüchtlinge. Während die traurige Kolonne auf den Bahnsteig bugsiert wird, kommt mein Karottenschaumsüppchen; der junge Mann schaut noch einmal durchs Fenster zu mir herauf, ich hätte es ihm gerne überlassen.
Persönlich tut er mir unendlich leid, gleichzeitig ist mir die Verzweiflung bewusst: ohne Sprachkenntnisse, ohne Pass, ohne Netzwerk und Struktur ein neues Leben in einer völlig fremden Welt zu beginnen scheint chancenlos. Trotzdem verfluche ich unsere Politik: sie scheitert teils absichtlich an der einfachen Aufgabe, paar tausend Menschen unterzubringen, jeder Unternehmer hätte den Job in paar Tagen locker gelöst. Dabei kommt die eigentliche Herausforderung erst: Es werden noch viel mehr folgen, und sie wären (noch) hochmotiviert, sich für ihre neue Heimat einzusetzen. Dieses Momentum nicht zu nutzen ist ein riesiger Schaden für das Land, und ich sehe rabenschwarz, wenn es schon bei den recht einfachen Problemstellungen in Traiskirchen scheitert.