Stapellauf

Stapellauf

Ein Buch zu schreiben ist wie ein Schiff zu bauen: Hat man endlich die passende Werft in Form des Verlags gefunden, legt man es mit dem Autorenvertrag auf Kiel. Danach kommt die Arbeit der Konstruktion, monatelang werden die Teile zueinander gebracht, werden Ideen kalfatert, werden erste Anekdoten und Informationen zu robustem Tauwerk geflochten, wird unnützes über Bord geworfen. Der Grafiker hisst Zierleisten und Dekorationen wie bunte Wimpel, und die Fotos sind wie Segel, die das Werk kraftvoll antreiben, auf dass es andere Barken hinter sich lässt am Schlachtfeld des umkämpften Buchmarkts. Endlich ist das Schiff ausreichend robust, um vom Stapel gelassen zu werden; das signieren der ersten Belege fühlt sich an wie die Schiffstaufe. Dann ist das Büchlein aber auf sich allein gestellt in der Weite der Leserschaft, der man keine unklare Formulierung von hinten über die Schulter erklären kann: Der Autor kann nur vom fernen Ufer gute Fahrt wünschen.

https://www.mauerspiel.at/jugendstil

https://www.kral-verlag.at/item/Jugendstil_in_Budapest/Harald_A_Jahn/71341947

Wie ich im Archiv der Pravda stöberte und mit dem Direktor vom Bolschoi-Theater Risipisi aß

Wie ich im Archiv der Pravda stöberte und mit dem Direktor vom Bolschoi-Theater Risipisi aß

Es war 1992, als es mich mit einer Künstlerdelegation nach Moskau verschlug – das klingt jetzt wichtiger als es war, ein Unternehmer wollte Businesskontakte knüpfen und trommelte in Wien Künstlerchens aller Richtungen zusammen, um offizielle Verbindungen (Österreichische Botschaft etc.) anzuzapfen.  So war ich wohl der erste Wiener Fotograf, der nächtliche Straßenszenen aus Wien und Paris bei einer Vernissage in Moskau zeigte, aber das ist jetzt nicht das Thema.

Jeder unserer Truppe durfte sich etwa aussuchen; unser Theatermann wollte Kontakt zum ersten Haus am Platze, und ich dachte mir, wär‘ doch cool, an einer Redaktionssitzung der Pravda teilzunehmen. Und tatsächlich – unsere Wünsche wurden erfüllt, mit einem kleinen Umweg allerdings: Wir trafen uns in einem Konferenzzentrum, und nach kurzer Wartezeit kamen zwei Herren herein, gut gekleidet, und mit einem Akzent, den man aus James-Bond-Filmen kennt, eröffneten Sie uns: „Wir können ihnen mit allem helfen, sagen sie nur, was sie brauchen – Raketen, Maschinengewehre, Granaten…“ Ich nehme an, aufgrund unserer offen stehender Münder und unserer wenig formellen Kleidung erkannten sie, dass sie hier falsch waren. Kurzer Wortwechsel auf Russisch, dann „entschuldigen sie, wir haben uns im Zimmer geirrt“, und weg waren sie. Fünf Minuten später kam dann unser tatsächlicher Betreuer, und uns war ein wenig komisch.

Moskau, Prawda 1992, Depot für die Geschenke an die Prawda

Und wirklich: man ermöglichte mir, im Bürohaus der Pravda herumzustreunen. Die Sovjetunion war gerade zusammengebrochen, die Parteizeitung hatte bei der Bevölkerung nicht den besten Ruf, und das einst stolze Flaggschiff hatte starke Schlagseite: In den Gängen fielen mir ständig Menschen auf, die schwere Säcke hinter sich herzogen, des Rätsels Lösung: Es gab kein Geld mehr, die Mitarbeiter wurden in Kartoffeln ausbezahlt, 50 Kilo für jeden. Allerdings konnte ich im Fotoarchiv wühlen und dort Originalabzüge der berühmten Sowjetischen Fotografen der 1930er-Jahre sehen – und vieles mehr.

Für unseren Theatermann war ein Treffen mit dem Direktor des Bolschoi-Theaters organisiert worden, es gab jedoch keine offenen Restaurants, auch unser Hotel war wie ausgestorben – so kam er ins größte unserer Zimmer, und nicht mit leeren Händen: Seine Frau hatte ihm Risipisi in Tupperware-Schüsserln mitgegeben, denn es gab in ganz Moskau kaum was zu essen – außer Eiern, Unmengen von hartgekochten Eiern, und die hatten wir inzwischen satt.

Berlin, schon wieder

Berlin, schon wieder

Man wird ja durch wiederholten Aufenthalt Patriot immer neuer Städte und Länder. Berlin ist so ein Ort: hässlich, wild, unbeholfen, skurril, eigenartig – und doch ungeheuer anziehend.

Bis heute ist die Dichte der Geschichte spürbar, und immer wieder frage ich mich, wie es hier vor der Wende war – wie es sich anfühlte, Seite an Seite zu leben mit einer völlig anderen Stadt gleichen Namens, im ummauerten Westteil, in dem man trotzdem freier war als im stasiüberwachten Osten: Zwei Städte zum Preis von keiner.

Heute hat Berlin nichts an Eleganz wie Paris, Wien oder Prag. Berlin ist mehr Idee als Stadt: An der Schönhauser Allee, wo die Hochbahn über Tramway-Schienen und regennassen Asphalt donnert, ist die weltstädtische Urbanität der 1920er greifbar; einige Blocks weiter an der S-Bahn am Prenzlauer Berg reibt sich die Gentrifizierung der 2020er an Feuermauern und Ostblock-Tristesse.

Mitten im Zentrum ragt das graue Nazi-Ministerium über den antifaschistischen Schutzwall der ebenso grauen DDR; am Kottbusser Tor dann Cyberpunk-Endzeitstimmung von 2040, dazwischen bunte Pop-Art an den U-Bahn-Stationen oder abrissgefährdete Reste der Ostmoderne wie am Jahnstadion von 1987 – und irgendwann wird das letzte von Punks besetzte Haus der Stadt unter Denkmalschutz gestellt, wird Kreuzberg zu Montmartre.