Es war 1992, als es mich mit einer Künstlerdelegation nach Moskau verschlug – das klingt jetzt wichtiger als es war, ein Unternehmer wollte Businesskontakte knüpfen und trommelte in Wien Künstlerchens aller Richtungen zusammen, um offizielle Verbindungen (Österreichische Botschaft etc.) anzuzapfen. So war ich wohl der erste Wiener Fotograf, der nächtliche Straßenszenen aus Wien und Paris bei einer Vernissage in Moskau zeigte, aber das ist jetzt nicht das Thema.
Jeder unserer Truppe durfte sich etwa aussuchen; unser Theatermann wollte Kontakt zum ersten Haus am Platze, und ich dachte mir, wär‘ doch cool, an einer Redaktionssitzung der Pravda teilzunehmen. Und tatsächlich – unsere Wünsche wurden erfüllt, mit einem kleinen Umweg allerdings: Wir trafen uns in einem Konferenzzentrum, und nach kurzer Wartezeit kamen zwei Herren herein, gut gekleidet, und mit einem Akzent, den man aus James-Bond-Filmen kennt, eröffneten Sie uns: „Wir können ihnen mit allem helfen, sagen sie nur, was sie brauchen – Raketen, Maschinengewehre, Granaten…“ Ich nehme an, aufgrund unserer offen stehender Münder und unserer wenig formellen Kleidung erkannten sie, dass sie hier falsch waren. Kurzer Wortwechsel auf Russisch, dann „entschuldigen sie, wir haben uns im Zimmer geirrt“, und weg waren sie. Fünf Minuten später kam dann unser tatsächlicher Betreuer, und uns war ein wenig komisch.
Und wirklich: man ermöglichte mir, im Bürohaus der Pravda herumzustreunen. Die Sovjetunion war gerade zusammengebrochen, die Parteizeitung hatte bei der Bevölkerung nicht den besten Ruf, und das einst stolze Flaggschiff hatte starke Schlagseite: In den Gängen fielen mir ständig Menschen auf, die schwere Säcke hinter sich herzogen, des Rätsels Lösung: Es gab kein Geld mehr, die Mitarbeiter wurden in Kartoffeln ausbezahlt, 50 Kilo für jeden. Allerdings konnte ich im Fotoarchiv wühlen und dort Originalabzüge der berühmten Sowjetischen Fotografen der 1930er-Jahre sehen – und vieles mehr.
Für unseren Theatermann war ein Treffen mit dem Direktor des Bolschoi-Theaters organisiert worden, es gab jedoch keine offenen Restaurants, auch unser Hotel war wie ausgestorben – so kam er ins größte unserer Zimmer, und nicht mit leeren Händen: Seine Frau hatte ihm Risipisi in Tupperware-Schüsserln mitgegeben, denn es gab in ganz Moskau kaum was zu essen – außer Eiern, Unmengen von hartgekochten Eiern, und die hatten wir inzwischen satt.