Ich kenne Joachim Luetke ja schon länger, allerdings nicht sehr gut; es begann mit den „Böse-Buben-Treffen“, bei denen sich ältere Herren, gerne langhaarig, zu launigen Gesprächen treffen und dabei grimmig dreinschauen, um wen netten kennen zu lernen. Jahre später flirtete Joachim auf Facebook ausreichend konsequent mit meiner Freundin, um ihr zu ermöglichen, uns frech bei ihm einzuladen. Und gut wars: Am Fuß der romantischen Semmering-Bahnstrecke, im Mikrokosmos der ehemaligen Papierfabrik Schlöglmühl, hat sich der Multimediakünstler eine morbid-elegante Wunderkammer geschaffen.
Joachim hat in Wien bei Hausner studiert, die Surrealisten waren erste Inspiration, H.R.Giger dann das Leitmotiv. Mir haben seine Skulpturen, leider unbezahlbar, immer am besten gefallen, sie wirken wie von Alien-Filmsets übriggeblieben und spielen mit Verfall, Tod oder politisch verwerflichen Symbolen: geknechtete und bandagierte Säuglinge mit Füßen aus Hühnerkrallen, verrostete Klonkrieger, skelettierte Generäle mit einem Durchlauferhitzer als Unterleib – archaisch und grandios. Der internationale Erfolg ließ sich nicht vermeiden, Stars von Marylin Manson abwärts baten um Plattencovers, die Suche nach den Brüchen des Menschseins bestimmten den Stil.
In früheren Interviews betonte Joachim die Doppelbödigkeit der Realitäten und Religionen; ich persönlich mag ja die Anekdoten, die doppelten Brüche, die wahren Skurrilitäten: Wenn die Protagonisten dunkel-mystischer Zwischenwelten in die banale Realität kippen, beispielsweise die immer weiß geschminkte, transgeschlechtliche Diva Anna-Varney Cantodea (Sopor Aeternus & The Ensemble of Shadows), zu Gast für Fotoproduktionen im Narrenturm, mit den Zeugen Jehovas an der Studiotür zusammentrifft – das Thema satanisch-queere Inklusion dürfte zu sperrig gewesen sein, und über die Bibel wollten sie dann auch nicht sprechen.
An einem warmen Spätsommertag sitzen wir im weichen Licht der historischen Veranda, trinken G’spritzten und knabbern am Mohnstrudel; ich fühle mich wohl, weil alles im Blickfeld einfach schön ist. Die Symbole und Reliquien sind stimmig arrangiert, die Sonne lässt einen Schädel aufglühen, die Spinnweben glitzern; „Nein, Putzfrau habe ich keine, die würden doch alle davonlaufen!“ – selbst haben mich Totenköpfe und Menschenknochen nie irritiert, es sind schlichte, natürliche Gegenstände wie Äste oder Hirschgeweihe und schon deswegen einfach ästhetisch.
„Wie stellst du dir deinen Tod vor“, fragt meine Freundin unvermittelt, wie es ihre Art ist, und inmitten der sorgsam angerichteten Schönheit in der Jugendstilvilla wird Joachim unspektakulär pragmatisch. „Im Liegestuhl im Garten, wenn die Sonne durch die Blätter blinkt“: All der inszenierte Grusel löst sich auf, Joachim zieht sich die Gummistiefel an, und wir gehen hinaus in die samtige Luft des späten Nachmittags. Tatsächlich war die in der Semmeringlandschaft eingebettete Villa in den letzten 120 Jahren Schauplatz einiger echter Tragödien; nun, als Schatulle für Versatzstücke dunkler Welten, erlebt sie ihre vielleicht friedlichste Epoche.
Links:
Sopor Aeternus
Joachim Luetke (leider veraltet)
Joachim Luetke auf Facebook