Gasthaus Praschl

Kreta in Wien

Wien-Favoriten: „Kreta“ wird dieser kleine Stadtteil genannt, der wie eine Insel zwischen Verkehrsbändern liegt, vor der Klippenküste eines monströsen Gemeindebaus der 1980er, am äußersten Rand des Bezirks.

Herr Praschl ist ein stiller Mann. Inmitten der bunten Flackerlichter der Zuwanderer-Lokale in der „Kreta“ ist es das letzte Wiener Gasthaus, und es bleibt dunkel – „es sind ja eh keine Gäste da“. Die wenigen, die doch kommen, sind einsame Seelen der Umgebung, die in langen Monologen die unverbrüchliche Treue von Freundschaften heraufbeschwören, die nach einigen Flaschen Bier nur am Wirtshaustisch existieren: Feststellungen von großer Tragweite, getroffen mit großer Schlagseite. Herr Praschl hört all dem geduldig zu, stundenlang, nur manchmal dringt er mit kleinen leisen Bemerkungen in die verschachtelte Unlogik lauter Wiederholungen der Vortragenden. „Ich brauch Freind, die besser san als I – I bin nur a afoches Madl!“: Aus dem Brei irrlichternder Emotionen ragen da gelegentlich scharf akzentuierte Wortbrocken, laut in den Raum gestellt, im Zeitverlauf dann immer mehr durch stumme Gesten ersetzt; die Hände können länger sprechen als die Lippen, wenn der Kopf schwer wird.

Herr Praschl sitzt weiterhin da und hört zu, nur manchmal kommt doch etwas Bewegung ins Lokal: Die Bewohner des Gemeindebaus holen sich im Gassenverkauf Bier oder Red Bull, je nach ethnischen Wurzeln, und irgendwann hält es auch Frau Brigitte nicht mehr aus am Holzbankerl: Dann tanzt sie im scharf aus dem Dunkel geschnittenen Bogen zu lautloser Karaokemusik, bis sich Herr Praschl doch überreden lässt – und endlich das Radio einschaltet, nur halblaut, denn Herr Praschl ist ein stiller Mann.

Schlussendlich wurde es zu still im Gasthaus Praschl: Die Corona-Krise hat das Geschäft ausgetrocknet, die Kreta ist zu abgelegen, um Gäste von außerhalb des kleinen Stadtteils anzuziehen. 2024 musste das Gasthaus schließen, ein kleines Denkmal aus Papier konnte ich ihm noch in meinem Buch Randschaften errichten.

www.mauerspiel.at/randschaften

Damien Hirst

Damien Hirst

„Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ – das Konzept: ein Schiff, die „Unglaubliche“, ist vor 2000 Jahren gesunken, und mit ihr jede Menge Kunstschätze. Damien Hirst hat sie gefunden und geborgen. Angeblich…

Mit seiner Ausstellung in Venedig hat Hirst eine unfassbare Kitschorgie produziert. Der einzige Trost ist, dass der ganze Ramsch in den Foyers von arabischen Hotels und Palazzi von Oligarchen landen wird und der Normalsterbliche ihn nicht mehr ertragen wird müssen. Vielleicht schmücken auch ein paar Russen ihre Yachten damit, dann besteht zumindest die Chance, dass der Dreck endgültig dorthin versinkt, wo er angeblich herkommt.

Kein Klischee wird ausgelassen, schamlos wird in die Weltkunstgeschichte gegriffen und die kunsthistorischen Beschreibungen gleich selbst dazuerfunden. Von Balinesischen Masken über Ägyptische Sphingen bis zu pseudogriechischen Statuen in sonder Zahl; bei den Damen wurde auf kein anatomisches Detail vergessen, die Erotik soll ja auch nicht zu kurz kommen.

Wie sehr Hirst Unternehmer ist, sieht man daran, dass es Objekte in allen Größen ebenso gibt wie in mehreren Farben, passend zu jeder Oligarcheneinrichtung in Bronze, Silber und Gold. Die Jahre bis zur Pension wird er davon leben, die Trümmer zu verscheppern. Vorher anschauen muss man sie sich aber nicht wirklich.

https://www.artnews.com/artnews/news/a-disastrous-damien-hirst-show-in-venice-8262

2017 in Venedig (Fotos); Zeichnungen zum Projekt sieht man bis 12. Oktober 2025 in der Wiener Albertina Modern:

https://www.albertina.at/albertina-modern/ausstellungen/damien-hirst

Abschied von der stillen Stadt

Abschied von der stillen Stadt

Ab dem 16. März 2020 wurde erstmals ein bundesweiter Lockdown verfügt, der ab Ostern wieder schrittweise gelockert und am 1. Mai 2020 gänzlich aufgehoben wurde. Es war in diesen Wochen leicht, dystopische Fotos zu machen; besser gefiel mir aber, wie sich die Stadt in dieser Zeit anfühlte, wie sie von den Menschen wieder in Besitz genommen wurde. Die Stimmung erinnerte mich an meine Kindheit, an einen Samstagnachmittag im Sommer, wenn die Geschäfte schon geschlossen hatten und man den freien Sonntag noch vor sich hatte.

Als noch nicht an jeder Ecke ein Fast-Food-Standl lockte, schmierte man sich ein Butterbrot und setzte sich in den Park; auf der Bank las man ein Buch, man hatte ja Zeit. Und so war es auch jetzt: Die Wohngegenden waren wieder große leise Inseln, Autos hörte man meist nur, wenn man den Hauptstraßen zu nahe kam, ansonsten schnitt schon das Sirren eines Fahrrades einen dünnen Strich in die Stille, eine neue Leichtigkeit schien über der Stadt zu liegen.

Um Abstand zu halten wich man auf die Fahrbahn aus, und man ging nach Gehör: wenn das ständige Hintergrundrauschen verstummt, nimmt man ein Fahrzeug wahr, lang bevor es zur Gefahr wird. Auch die Innenstadt war nun wieder wie damals, als ich begann sie zu erforschen, keine Touristengruppe, kein grelles Lokal störte die Sicht auf die Palais, von deren Schönheit nun kaum etwa ablenkte. Wien war endlich wieder Stadt für Flaneure, sonst zu laut und zu gedrängt für zielloses Streunen. Der letzte Spaziergang war aber auch wehmütig: die Geschäfte öffneten wieder, damit ging dieser eigenartige ewige Samstag zu Ende. Er war teuer erkauft, wird aber als wertvolle Erinnerung bleiben.

Schrecklich schön

Schrecklich schön

2001 begegnete ich Peter Sengls Arbeiten zum ersten mal bewusst: „Schrecklich schön“ hieß die Retrospektive im Wienmuseum. Dort: seine in Verschraubungen, Verspannungen, Verklemmungen gefangene Figuren. Trotzdem wirken sie stolz und frei, nehmen die Modifikationen fast teilnahmslos hin, und oft ist ein schelmisches Augenzwinkern dabei.

Ich dachte mir, „wow“, rief den Künstler an und wurde eingeladen.

Sengls Atelier ist ein Pandemonium prachtvoller Absonderlichkeiten, eine Wunderkammer nach meinem Geschmack, und mittendrin eine präparierte Kuh – Peter Greenaway hatte sie für seine Ausstellung „hundert Dinge erzählen die Welt“ im Waldviertel bestellt und danach zurückgegeben, Sengl hat sie gekauft. Ich konnte Sengl damals für eine „erotische Familienausstellung“ in meiner Galerie gewinnen: Mit seiner Frau Susanne Lacomb und seiner Tochter Deborah Sengl verwirrte das Gespann meine Besucher.

Immer in grellbunt gemusterten Maßanzügen, wirkt Sengl wie ein Renaissance-Malerfürst. Seine Welt erinnert an Herzmanovsky-Orlando, und seine Bildtitel passen dazu, rätselhaft, ironisch, poetisch sind sie: „Daungelassene Blumenrosenschultertränenquart für mein Grab“ liest man da, oder „Neunfacher Schwanungsblick“; als er meine Freundin malte, wurde daraus „Ingrids Blumentatoo-Tanz mit Clementine und Holunder“.

Gestern wurde Sengl 80 Jahre alt, und in einer Innenstadtgalerie wurde gefeiert.

https://www.suppanfinearts.com/de
http://www.petersengl.at/

Astor Piazzolla

Astor Piazzolla

1983 hatte ich einen Job, der eigentlich keiner war, da es kein Geld gab: Ich war Ordner bei „Stimmen der Welt“. Der Deal war, dass man als Ordner irgendwo rumstand, und wenn einem eine Band am Herzen lag, sagte man das und wurde auf einen perfekten Platz eingeteilt. Zum Ausgleich hat man dann ein anderes Mal den Notausgang bewacht oder so was – Gentleman’s Agreement, in den 80ern konnte man noch so arbeiten. Ich habe damals Joan Baez kennen gelernt (ich war vor ihrer Garderobe eingeteilt), mit Freddy Mercury hinter der Stadthallenbühne beim Müsliessen gesmalltalkt und mit Nina Hagen rumgeblödelt… Dann war ein „Tangokonzert“ am Programm, ich ging widerwillig hin und bekam einen Schlafjob oben am Balkon des Konzerthauses. Tango. Jessas. Fade, dachte ich, Fado war mir noch unbekannt, und auch wenn ich den Unterschied zwischen Pizza und Piazza kannte – von einem Piazzolla hatte ich noch nie was gehört.

Irgenwann kam ein verhutzeltes Männchen mit Zieharmonika auf die Bühne, und ich: Oh Gott.

Und dann ging es los.

Und meine Ohren machten Augen.

Und es wurde mit jedem Stück besser, der Saal hat getobt – und am Schluss, als bei Adios Nonino die Violine einsetzte, haben wir alle geheult.

Als sich „mein Bereich“ geleert hatte bin ich zu den Garderoben abgebogen und hab mich mit meinem Ausweis durchgedrängt, bin einfach zur Band rein – und die waren genauso von den Socken: Das Wiener Publikum gilt als unbestechlich, und selten wurde Piazzolla so gefeiert wie an diesem Abend. Und so kam’s, dass ich mit einem Glaserl Rotwein Piazzolla zuprostete.

Es war eines meiner eindringlichsten Musikerlebnisse, und glücklicherweise sah das der Künstler ähnlich: „The Vienna Concert“ erschien vom ORF perfekt mitgeschnitten auf Vinyl und wurde Piazollas berühmteste Live-Aufnahme überhaupt.

Welt der Wunder

Welt der Wunder

„Das Antiquariat schien einerseits nach hinten im Gebäude zu versickern, andererseits wie ein Trichter Eigentümliches aus aller Welt und aller Zeit einzusaugen, um es auf dem ständig überquellenden Pult auszuspucken.“

…eine Wiener Wunderkammer inspirierte mich so sehr, dass ich sie als Handlungsort für meinen Roman „Das verdammte Manuskript“ nach Paris verpflanzte, wo ich sie in der Galerie Vero Dodat ansiedelte. Dabei war diese historische Passage selbst ein Ort der Wunder, die verstaubten Geschäfte bewahrten wie rätselhafte Schatullen noch in den 1980ern Seltsamkeiten sonder Zahl: historische wissenschaftliche Gegenstände, ein Vogelgerippe unter einem Glassturz oder riesige tropische Falter, wie bunte Blumen in einem Rahmen arrangiert – all das hinter matten Auslagenscheiben in trübem Licht.

Die Idee der Wunderkammern stammt aus der späten Renaissance, als die Sammlungen kurioser Gegenstände noch unwissenschaftlich präsentiert wurden; die fast kindliche Naivität macht aber den Reiz aus. Für mich ist es die rein ästhetische Zusammenstellung der Exponate, die Konzentration purer Schönheit auf engstem Raum, die diese Sammlungen so anziehend macht. In Venedig ist das Museo Furtuny, der frühe Palast des gleichnamigen Bildhauers, Erfinders und Architekten, ein solcher Ort.

Nach langer Geringschätzung wurde die Idee der Wunderkammer in letzter Zeit auch von Museen wieder entdeckt. Mit seinen „Boxes“ hat der amerikanische Künstler Joseph Cornell zahlreiche Miniatur-Wunderkammern geschaffen, 2015 waren seine fragilen Arbeiten im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen; in der Sammlung Heidi Horten schufen Hans Kupelwieser und Markus Schinwald mit dem „Tea Room“ einen besinnlichen Raum der Kontemplation, in dem Hortens Sammlung kunstgewerblicher Kleinode hinter kreisrunden Luken gezeigt werden.

Das erste kapitalistische Weihnachtsfest

Das erste kapitalistische Weihnachtsfest

Vor 35 Jahren, im Dezember 1989, beschließt Österreich unter dem Eindruck der Berliner Maueröffnung, die Visapflicht für tschechoslovakische Staatsbürger aufzugeben (die kommunistische Führung war am 25.11. zurückgetreten). Ein unglaublicher Strom von Einkaufstouristen ergießt sich nach Wien. Die Mariahilfer Straße – durch den U-Bahn-Bau längst zur Ramschmeile verkommen – bietet schon länger Billigwaren für ungarische Touristen an und wird von den Wienern scherzhaft Magyarhilferstaße genannt. Wien reagiert, versucht die Auto- und Buskolonnen zu den Messeparkplätzen umzuleiten. Der Mexikoplatz, damals Schmuggelzentrum für Ostwaren über die Donau, wird zum weiteren Treffpunkt, „Pop-Up-Stores“ verkaufen Unmengen von Weissware und Unterhaltungselektronik. Sex-Shops werden ebenso ungläubig bestaunt wie Bankomaten. Zuvor waren Einkaufsfahrten in die andere Richtung beliebt: Österreicher deckten sich zu Spottpreisen in den Supermärkten von Bratislava/Pressburg („Gratislava, Fressburg“) mit Lebensmitteln und Zigaretten ein.

Es ist das erste kapitalistische Weihnachtsfest der uns umgebenden Ostländer – und gleichzeitig der Beginn der enormen Veränderung Wiens von einer grauen Sackgasse am Rand einer vom Eisernen Vorhang umgebenen Westhalbinsel zu einer der lebenswertesten Metropolen Europas; und für einen Moment dachte man, die Welt würde nun zu einem besseren Ort.

https://noe.orf.at/stories/3024413

Ewige Gegenwart

Ewige Gegenwart

„Ich bin hier wie ein Soldat, der auf eine Ablöse wartet, die nie kommt“: die Stimme von Frau Jentsch ist fast feenhaft zart, wenn sie im Film „Aus der Zeit“ über ihre Arbeit spricht. Sie hat unter einem Patriarchen gedient, Herr Jentsch war ein kraftvoller Mann, hat über seine Weltreisen Bücher geschrieben. Seine liebsten Koffer waren aber leer: sie standen in seinem Lederwarengeschäft in der Kaiserstraße zum Verkauf, das seit 1874 existiert.

Harald Friedl hat das Geschäft 2006 portraitiert, in den langen, ruhigen Einstellungen entfaltet sich die kleine Welt, die Ersatz für die große wurde. „Wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, das Geschäft hat nie begonnen und hört nie auf – man arbeitet hier in Muße, man ist in der Hand der Zeit, und die hält irgendwie den Kurs. Das Geschäft selber ist die Zeit, sie ist hier anders, stabiler als an anderen Orten.“

Tatsächlich konnte Frau Jentsch vor einigen Jahren abrüsten; auch wenn das Geschäft „nie aufhört“, verließ Herr Jentsch die Kommandobrücke, und sein Sohn übernahm. Benedikt Jentsch ist hauptberuflich Architekt, seine Arbeit ist nun das Fundament für die Fortsetzung der ewigen Gegenwart; zusammen mit seiner Frau, die während seines Broterwerbs die Stellung hält ist (das Geschäft trägt sich derzeit nicht selbst), will er weiterhin versuchen, diese Lücke in der Zeit geöffnet zu halten.

Während ich in der Stille der Werkstatt fotografiere, denke ich an das Schild des verschwundenen Treibriemenherstellers im Raimundhof, das mich immer fasziniert hat: „In wenigen Minuten endlos“ – ich konnte es damals nicht retten, aber hier, in dieser Kapelle für die Ewigkeit, sollte es an der Wand hängen, statt dem Kruzifix.

Das Sommermärchen in der Corneliusgasse

Das Sommermärchen in der Corneliusgasse

Die Corneliusgasse ist eine völlig nebensächliche kurze Gasse mitten in Wien, etwas ansteigend, voll mit geparkten Autos. Gerade mal die Stiege am Ende der Sackgasse, sie führt zur zwei Stockwerke höher liegenden Straße, ist vielleicht erwähnenswert, aber nichtmal sie hat was Besonderes – eine kahle Betontreppe, Romantik sieht anders aus. Das änderte sich an einem Weekend im August schlagartig: Da wurde die Gasse plötzlich Sehnsuchtsort tausender junger Mädchen, wurde zum Treffpunkt – und die überraschten Anrainer wussten nicht, wie ihnen geschieht.

Im August 2024 fluten fast 200.000 junge Menschen die Stadt, zu 95% weiblich – die „Swifties“ kamen, Fans von Taylor Swift, dem derzeit erfolgreichsten Popstar weltweit, älteren Musikliebhabern unbekannt. Und da ist dann noch ein verpeilter Jugendlicher, 19 Jahre alt, seine Stars die anonymen Fusselbärte des bizarren „Islamischen Staats“. Er und ein Kumpel wurden zwar erfolgreich verhaftet, trotzdem war die Exekutive ausreichend alarmiert, das Großereignis abzusagen; tragisch, dass sich die Behörden außerstande sahen, eine normale Stadionveranstaltung sicher durchzuführen. Es wurde viel geweint in den Stunden nach dem Schock, die Swifties, erst bitter enttäuscht, waren dann aber wild entschlossen, das Beste draus zu machen. Und die Corneliusgasse wurde zur Ersatzlocation: Ein Song des Stars dreht sich um ihren früheren Wohnort Cornelia Street, und nichtmal die grundsätzlich grantigen Wiener Bewohner der grauen Nebengasse konnten sich der Lebensfreude der aus der ganzen Welt angereisten Mädels entziehen.

Ein Glitzern liegt über der Stadt

200.000 junge Menschen – auch in einer Großstadt wie Wien ist deren Anwesenheit nicht zu übersehen. Und die Stadt hat auf die Absage fantastisch reagiert: Freier Eintritt in etlichen Museen oder Schwimmbädern, die Clubs haben sich dem angeschlossen, haben die Öffnungszeiten ans Alter der Swifties angepasst und vieles mehr. Auf der Mariahilferstraße, am Stephansplatz, in der Corneliusgasse – überall Pailletten zu sehen, die Songs zu hören, Fischerchöre nichts dagegen! Freundschaftsbändchen an jedem Handgelenk, auch bei den gut gelaunten Polizisten: Achtsamkeit statt Achter. Plötzlich werden auch im Gesicht des grauhaarigen Kommandanten die Lachfalten sichtbar, plötzlich ist auch er mit Perlenarmbändern behängt, während seine Untergebenen ihr Schulenglisch hervorholen, um vor den Amerikanerinnen zu brillieren. Und die Anrainer feiern aus den Fenstern mit, reichen Wasserbecher raus, aus dem zweiten Stock flattern ausgedruckte Zettel – „Cornelia Street“ steht auf dem rasch gestalteten blauen Wiener Straßenschild aus Papier.

Das ist die eigentliche Überraschung, wenn man in die Corneliuscrowd, in das Wiener Sommermärchen eintaucht: die ansteckende unerschütterliche Lebensfreude. Es sind junge und sehr junge Mädchen, die hier ihre Hymnen singen, sie handeln von Liebe, von Trennungen, vom erwachsen werden, von Empowerment; es sind Gesichter, die sich gerade auf die Reise vom Kind- zum Frausein gemacht haben, mit Proviant aus stärkenden Liedern: Heartbreakers gonna break, and the fakers gonna fake, Baby, I′m just gonna shake it off…

Im hereinbrechenden Abend glitzern Handylämpchen über der Menge, und hochgehaltene Hände formen Herzen – nun wird sogar die Corneliusstiege romantisch wie die Treppen des Montmartre. Dann wird es langsam stiller; um 23.00 ist Nachtruhe, und langsam löst sich die Party auf. Am nächsten Tag, Sonntag, nur noch Spuren, eine kleines Grüppchen steht um den glasperlenverzierten Baum und singt, diesmal klingt es wie eine stille Andacht. Kreideaufschriften am Boden: We can do it with a broken heart, steht da, Fearless, oder Fuck the Patriarchy – tatsächlich haben drei junge Männer, denen die Kraft westlicher Frauen unerträglich war, zu vielen den Spaß verdorben. Sich von solchen Leuten nicht einschüchtern zu lassen – das muss unsere Demokratie von den jungen Swifties lernen, die der Stadt gezeigt haben, wie man Lebensfreude lebt.

Eine alte Bekannte war auch dort und ebenfalls bezaubert: http://www.woelfin.at/archive/2660