Die große Achse von Cergy-Pontoise

Die große Achse von Cergy-Pontoise

Weit draußen vor den Grenzen von Paris liegt ein Strich in der Landschaft. Eine Linie spannt sich von spröden Wohnblocks zu einer gefluteten Kiesgrube: Die „Axe Majeur“, die „Hauptachse“ – ein riesiges  Architektur-Kunstwerk des israelischen Künstlers Dani Karavan. Die Achse beginnt mit einem leicht geneigten Turm im Mittelpunkt der neobarocken Wohnanlage von Ricardo Bofill und strahlt dann über die Mäander der Oise mehr als 3 Kilometer ins Land. Seit 1986 werden immer wieder Etappen eröffnet, zuletzt 2008 die rote Brücke. Die „Achse“ ist Kunstwerk, Sehenswürdigkeit und Identifikationsobjekt der „Ville Nouvelle“ von Cergy-Pontoise, einer der Satellitenstädte um Paris.

Wie so oft in Frankreich gelingt die Kombination von Monumentalität und Harmonie. Viele Elemente des Kunstwerks haben symbolische Bezüge, wie die 12 Säulen, die die 12 Stunden des Tages zitieren. Ungerührt von der Topografie läuft die Achse geradlinig durch die Landschaft, durchquert den Garten der Menschenrechte, überspannt ein Amphitheater, eine Bühne, einen Teich. Während die Achse Spazierweg, Raum zur Kontemplation, zur Entspannung ist, inspiriert sie auch zu neuer Kreativität: fast immer trifft man auf Modefotografen oder Filmteams.

Noch ist die Achse nicht vollendet: Eine kreisrunde Insel mit astronomischen Skulpturen soll zum Schlusspunkt werden. Eine kleine Steinpyramide ragt bereits aus dem See, der Brückenschlag fehlt noch; auch danach soll der Schotterteich Lebenswelt für ungewöhnliche Wasservögel und Wildpflanzen bleiben.

https://www.axe-majeur.fr

Welt der Wunder

Welt der Wunder

„Das Antiquariat schien einerseits nach hinten im Gebäude zu versickern, andererseits wie ein Trichter Eigentümliches aus aller Welt und aller Zeit einzusaugen, um es auf dem ständig überquellenden Pult auszuspucken.“

…eine Wiener Wunderkammer inspirierte mich so sehr, dass ich sie als Handlungsort für meinen Roman „Das verdammte Manuskript“ nach Paris verpflanzte, wo ich sie in der Galerie Vero Dodat ansiedelte. Dabei war diese historische Passage selbst ein Ort der Wunder, die verstaubten Geschäfte bewahrten wie rätselhafte Schatullen noch in den 1980ern Seltsamkeiten sonder Zahl: historische wissenschaftliche Gegenstände, ein Vogelgerippe unter einem Glassturz oder riesige tropische Falter, wie bunte Blumen in einem Rahmen arrangiert – all das hinter matten Auslagenscheiben in trübem Licht.

Die Idee der Wunderkammern stammt aus der späten Renaissance, als die Sammlungen kurioser Gegenstände noch unwissenschaftlich präsentiert wurden; die fast kindliche Naivität macht aber den Reiz aus. Für mich ist es die rein ästhetische Zusammenstellung der Exponate, die Konzentration purer Schönheit auf engstem Raum, die diese Sammlungen so anziehend macht. In Venedig ist das Museo Furtuny, der frühe Palast des gleichnamigen Bildhauers, Erfinders und Architekten, ein solcher Ort.

Nach langer Geringschätzung wurde die Idee der Wunderkammer in letzter Zeit auch von Museen wieder entdeckt. Mit seinen „Boxes“ hat der amerikanische Künstler Joseph Cornell zahlreiche Miniatur-Wunderkammern geschaffen, 2015 waren seine fragilen Arbeiten im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen; in der Sammlung Heidi Horten schufen Hans Kupelwieser und Markus Schinwald mit dem „Tea Room“ einen besinnlichen Raum der Kontemplation, in dem Hortens Sammlung kunstgewerblicher Kleinode hinter kreisrunden Luken gezeigt werden.

Squid Game und Ricardo Bofill

Squid Game und Ricardo Bofill

Die koreanische Fernsehserie Squid Game spielt mit dem Kontrast von kindlich-lieblichen Sets und brutaler Handlung. Für das Filmset gibt ein reales Vorbild: Der Wohnkomplex „La Muralla Roja“, die rote Mauer, steht an der Mittelmeerküste nahe Alicante in Spanien. Den Ort zu besuchen gelang mir noch nicht, in Barcelona steht allerdings ein ähnliches Gebäude: „Walden 7“ von 1975. Es ein Haus wie ein Bienenstock oder wie ein gigantisches Pueblo, ich hatte den Eindruck einer dreidimensionalen Dorfgemeinschaft. Trotz der modularen Bauweise wirken die immer unterschiedlichen Räume, Brücken und Balkone menschlich – auch durch die Wahl von warmen Farbtönen und Ziegeln als Oberflächen.

Unmittelbar neben Walden 7 ist das alte Zementwerk, das Bofill gekauft und zu seinem Atelier gemacht hat: von den höchsten Etagen des Wohnexperiments sieht man auf die üppig begrünten Dächer des „Taller de Arquitectura“ die endgültige Fertigstellung des immer noch laufenden Umbaus hat er nun nicht mehr erlebt.

Später verloren seine Bauten ihre verspielte Unschuld. Mit Großprojekten wie dem Palacio d’Abraxas in den Pariser Vororten oder dem Antigone-Viertel in Montpellier schuf er zwar weitere Instagram- oder Filmtaugliche Kulissen („Brazil“, „Hunger Games“), die menschlichen Dimensionen gingen aber verloren.

Arte hat eine schöne Hommage an den Architekten produziert:
https://www.arte.tv/de/videos/117329-001-A/in-spanien-ricarco-bofill-sprengt-den-rahmen/

Eine umfangreiche Fotosammlung zu Bofills Bauten habe ich hier zusammengestellt:
https://www.viennaslide.com/features/Bofill

Für das Spectrum der Presse habe ich das Thema etwas ausführlicher beschrieben:
http://www.mauerspiel.at/texte/2025-01-25-Presse-Spectrum-Bofill.pdf

In den Kellern der Pariser Oper

In den Kellern der Pariser Oper

Mitte der 1980er-Jahre – in den Wiener Musicalhäusern gab man „Das Phantom der Oper“ – hatte ich die Idee, den Originalschauplatz der Story zu fotografieren. Die Direktion der Pariser Oper reagierte verhalten. Mein euphorisch vorgetragener Plan, nicht nur in die Keller vordringen, sondern sie auch noch mit Fackeln beleuchten zu wollen, war dann aber ausreichend absurd, mich zu empfangen und mir den Generalschlüssel zu überlassen.

An diesem Tag führte mich mein Weg von den Schnürböden unter dem Dach bis in die tiefsten Keller. Und obwohl der unterirdische See des Phantoms nichts anderes war als ein Löschwasserbecken: Die Herzkammer tief unter einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt nach meinen Ideen inszenieren zu dürfen war grandios. Meine flackernden Kerzen haben nicht nur Rußstriche an den Wänden hinterlassen, sondern auch die Leidenschaft entfacht, nach den verborgenen Bildern und Geschichten zu suchen, die in meiner Heimatstadt Wien konserviert sind. Hinter den glänzenden Fassaden lauern die Schatten seltsamer Begebenheiten, wispern tausend Stimmen: Sie warten darauf, entdeckt zu werden.

2019 war ich, Jahrzehnte später, wieder in der Opera Garnier – diesmal allerdings in den goldglänzenden Prunkräumen. Und auch hier seltsame Geschichten. Als ich die Keller mit Fackeln beleuchtete wusste ich nichts vom Feuertod der jungen Ballerina Emma Livry, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Ruhm sucht. Mit ihren 20 Jahren steht sie am Beginn einer aufregenden Karriere, ihre majestätische Interpretation von „La Sylphide“ macht sie berühmt. Bei ihren Auftritten will sie dem Rampenlicht näher sein als alle anderen – am 15. November 1862 fängt ihr Kostüm am Gaslicht Feuer. Ein letztes Mal richten sich alle Blicke auf sie, als lebende Fackel läuft sie noch drei Mal durch die Kulisse. Von den Verletzungen erholt sie sich nicht mehr; mit ihr sinkt auch das „romantische Ballett“ mit all seiner Sinnlichkeit, Magie und Exotik ins Grab, Emma Livry war die letzte Ballerina dieser Ära.

Eine ausführliche Fotoseite habe ich hier zusammengestllt: https://www.viennaslide.com/features/Paris-Opera/

Aus dem Buch "Brüsel" Mit freundlicher genehmigung von mit freundlicher Genehmigung von François Schuiten

In der Welt der Geheimnisvollen Städte

François Schuiten ist ein Star der belgisch-französischen Comicszene; Graphic Novels haben im französischsprachigen Raum eine ungleich höhere Wertschätzung als in Deutschland oder Österreich. Berühmt geworden ist er mit der Alben-Serie „Die geheimnisvollen Städte“, die er zusammen mit dem Autor Benoît Peeters geschaffen hat. Schuiten stammt aus einer Architektenfamilie; als Kind sah er Modelle und Zeichnungen, hat die katastrophale Entwicklung Brüssels seit den 1960er-Jahren miterlebt: „Brüsselisierung“ ist ein eigenes Architekturfachwort, das die rücksichtslose Opferung historischer Stadtstrukturen beschreibt.

Die Serie der „Cités Obscures“ erzählt dystopische Geschichten, in der die Städte einer mysteriösen Parallelwelt die Hauptrolle spielen: ähnlich der Realen, aber leicht verschoben, voller kunstgeschichtlicher Andeutungen, Verknüpfungen, versteckter Hinweise. Dabei berühren sich die Welten manchmal sogar, wie in der Pariser Metrostation „Arts et Métiers“, die Schuiten gestaltet hat; auch das Brüsseler Museum „Train World“, das Maison Autrique des Jugendstilarchitekten Victor Horta und zahlreiche andere Ausstellungen wurden von ihm entworfen und damit Teil des Vexierspiels.

Während in „Die Mauern von Samaris“ eine Stadt ganz im Stil von Victor Horta idealisiertes Spiegelbild Brüssels ist, behandelt das zentrale Werk „Brüsel“ die städtebauliche Katastrophe der belgischen Hauptstadt, die Zerstörung durch die Bauspekulation, den Größenwahn. „Brüssel hat die Verbindung zu sich selbst und seiner Geschichte verloren. Die Stadt ist wie mit einem Messer in Stücke geschnitten worden; das Zeichnen hilft da ein wenig beim Heilen. Als Zeichner mache ich Schneiderarbeit und versuche die Wunden zu vernähen“, sagt Schuiten im Interview.

Nirgendwo ist man den dunklen Städten näher als im Pariser Atelier von Schuiten. Es ist ein kleines, lichtes Haus in einem Arrondissement, in dem Paris noch ein wenig seiner Ursprünglichkeit bewahrt hat, und ein Schatzkästchen voller Artefakte: Ich kann ihren jeweiligen Platz im Universum der „Dunklen Städte“ präzise verorten. Es ist für mich ein aufregender Besuch; meine Interessen drehten sich immer um Architektur, Urbanismus und Soziologie, die „Dunklen Städte“ waren mir seit dem ersten Band seelenverwandt. Hier bin ich in der Herzkammer dieser Welt, und ein Phänomen tritt auf, das ich von meinen Architekturprojekten kenne: Gedachtes, Gezeichnetes klappt aus der Phantasie in den dreidimensionalen Raum, während Schuiten mit kraftvollen, ausladenden Gesten über Details der von ihm geschaffenen Welten und künftigen Projekten spricht. Zwischendurch greift er immer wieder zur Tuschefeder, während unseres Gesprächs entsteht ein Portrait von Captain Nemo, dem Held des letzten Bandes der „Cités Obscures“. Präzise und scheinbar mühelos setzt Schuiten im Stil alter Kupferstiche Strich neben Strich.

„Die Rückkehr von Kapitän Nemo“ wird möglicherweise der letzte Band der Serie und verknüpft Jules Vernes Buch „20.000 Meilen unter dem Meer“ mit dem „Dunklen Kontinent“. Neben Vernes Romanheld ist ein Hybridwesen aus Octopus und Nautilus Hauptdarsteller, und als riesige Metallskulptur ist es auch Teil eines Projekts für die Heimatstadt des Autors. In Amiens entsteht mit „Auf den Spuren von Jules Verne“ ein Pfad mit Erinnerungsorten und Kunstwerken, hier wird die Skulptur künftig auf einer Terrasse über der Stadt thronen. Ab Dezember wird sie sich aber für einige Monate vor dem Brüsseler Justizpalast aus dem Boden tauchen – auch dieses monströse historische Gebäude spielt eine wiederkehrende Hauptrolle in den „Geheimnisvollen Städten“. Auf seiner Reise verbindet der Octo-Nautilus von Kapitän Nemo damit reale und utopische Welten in einer Stadt, die sich mit ihrer Geschichte und ihren Möglichkeiten immer schwer getan hat.

Altaplana.be – eine umfangreiche Seite zu den Geheimnisvollen Städten
Atlantic12.com – Druckgrafik von François Schuiten
François Schuiten auf Facebook

Veröffentlichung der Bilder mit freundlicher Genehmigung von François Schuiten

Alte Bücher und neue Geschichten

Alte Bücher und neue Geschichten

Paris: das sind die Schwalben in den Sommergassen, das ist Klaviermusik straßenseitig und Geigenspiel vom Hof, das sind weißblaue Emailschilder, das ist Baguette und Camembert und billiger Rotwein im Parc Montsouris; Paris ist ein flüchtiges fremdes Lächeln aus dem Nebenwaggon der Metro beim Halt in der Station, ist das Plätschern der Bäche, die am Morgen die Straßenränder fluten, Paris sind alte Bücher und neue Geschichten. Paris sind Füße, die nicht so viel gehen können wie die Augen sehen wollen. Paris ist weit an der Seine und eng unterm Dach am Montmartre:

Paris ist das Leben, Paris ist die Liebe, Paris ist die ganze Welt.

Unter den Straßen der Lichterstadt

Unter den Straßen der Lichterstadt

Paris war der erste Ort, der mir neben Wien zu einer Art Heimat wurde: Mit 16 wurde ich dorthin geschickt, um Französisch zu lernen. Es war gleichzeitig der erste Ort, an dem ich wirklich frei war, abgekoppelt von Zwängen und Familienstrukturen, die mich in Wien beschränkten.

Es war wahrscheinlich kein Zufall, dass meine Suche nach besonderen Plätzen dann gerade in Paris begann: Alle unsere Geschichten, die wir mit uns tragen, sind untrennbar verflochten mit den Orten, an denen wie sie erleben. Bis heute ist diese Stadt mein Sehnsuchtsort, meine zweite Heimat, meine heimliche Geliebte, während ich mit Wien quasi verheiratet bin.

Meine Suche nach „ Lost Places “ hat sich in den letzten Jahren wie von selbst nach Paris verlagert; mir scheint, dass Wien inzwischen nicht mehr ausreichend viele Geheimnisse bietet. Die „ Lichterstadt “ ist dagegen auch ein Ort der Schatten; unter der Metropole warten unglaubliche Plätze darauf, legal oder illegal erforscht zu werden: die kafkaesken Gänge und schwarzen Schächte der Metro, die den Pulsschlag der Stadt bestimmt, oder die tief unter den Straßen liegenden Katakomben und Steinbrüche, aus denen vor Jahrhunderten das Baumaterial für die Häuser darüber gebrochen wurde.

Paris, Metro, in einem alten Metrozug, abgestellt irgendwo im Gleisgewirr

Wieder einmal finde ich mich auf „Forschungsmission“ , mit einer kleinen Gruppe von „Cataphiles“, Freunden der Unterwelt; eine unauffällige Tür in einer abgelegenen Metrostation, der irgendwie organisierte richtige Schlüssel – und wir streifen durch stillgelegte Metrotunnels, durch ehemalige Kraftzentralen, durch vergessene Labyrinthe aufgelassener Haltestellen. Jahrzehntealte Werbung hat sich an den Wänden erhalten, und vor uns führt ein dunkler Schacht ins Ungewisse.

Das Netz aus Tunnels ist das Wurzelwerk der Stadt, und die Lust, es zu erforschen, ähnelt der Suche nach den eigenen Wurzeln. Und so wird die Suche nach den magischen Orten, den eigenartigen Anekdoten zum Spiegelbild der Suche nach der eigenen Geschichte. Ein uralter Metrowagen, außen mit Sprayfarbe verunstaltet: Mich ziehen die Sitze, Wände und Böden an, die seit Jahrzehnten niemand mehr berührt hat. Diese Type verkehrte noch, als ich zum ersten Mal hier war, vielleicht bin ich selbst vor vierzig Jahren hier gesessen. Diese Tunnels mit ihren Verzweigungen und rätselhaften Gleisen, die sich irgendwo im Dunkel verlieren, machen mich neugierig auf die Abenteuer, die vor mir liegen. Ich folge den Schienen von den abgestellten Wagen zur Hauptlinie, Züge donnern an mir vorbei.

Für den futuristischen Maler Gino Severini war die Metro „ein illuminierter Körper, der durch einen abwechselnd dunklen und erleuchteten Tunnel fließt“ ; Bei all der Suche nach vergangenen, verlorenen Orten denke ich aber auch an die Entdeckungen, die noch vor mir liegen und damit an einen Satz des russischen Fotografen Alexander Rodtschenko: „Die Zukunft ist unser einziges Ziel“.

Fotos: https://www.viennaslide.com/features/Paris-Metro/

Für das Feuilleton der Wiener Tageszeitung Die Presse habe ich einen etwas ausführlicheren Artikel dazu verfasst: http://www.mauerspiel.at/texte/2024-07-20-Presse-Spectrum-Metro.pdf

Meine liebe Freundin Céline hat auf ihrem Blog über das Verschwinden des Métrotickets geschrieben: https://feelingparis.net/adieu-kleines-metroticket/

Montmartre

Montmartre

Die jungen Mädchen flattern die Stiegen hinunter und duften nach Maiglöckchen; die honorigen Damen sitzen in den Restaurants und riechen vornehm. Die Häuser ragen wie Zähne in den Nachthimmel und tragen Goldplomben aus unbezahlbaren Atelierwohnungen. Die Blüten in den geheimen Gärten impfen die Luft so wie die Melodie, die aus dem Kellertheater sickert, und auf der Straße streiten zwei Katzen, bis der Hund dazwischengeht; ein Mopedfahrer fräst eine tiefe Rille in den lautlosen Sommerabend. Im Café des Deux Moulins spiegelt sich das Neonlicht im Kupfer des Tresens, und sogar die Japanerinnen umflort ein Hauch von Amelie – am Montmartre findet jeder sein Paris: Stille Nächte im Klischee, und trotzdem bezaubernd.

Wohnen mit Napoleons Familie

Wohnen mit Napoleons Familie

Wo man in Paris so landen kann – in einem uralten Haus neben dem Jardin des Plantes nämlich, gebaut vom Urgroßirgendwas der 84jährigen Eigentümerin, deren Urgroßirgendwas die Exfrau von Napoleon war; Ihr Großvater hat mit Madame Curie hier gearbeitet, und irgendwas mit dem Jardin des Plantes zu tun gehabt. Auf die Philipp-Starck-Stühle angesprochen meinte sie, sie hat früher in einem Le-Corbusier-Haus gewohnt, der ein Freund der mütterlichen Familie war; da waren alle ganz auf modernes Design gepolt. Sie war dann recht sauer, in diese alte Bude ziehen zu müssen, die von der väterlichen Seite kam (der Stammbaum ist vielleicht nicht ganz korrekt wiedergegeben, mein Erinnerungsvermögen hat nicht alle Details verkraftet). Sie hat dann noch weiter erzählt, dass sie als Kind fast das kleine Dubuffet-Bild (auch ein Freund… etc.) übermalt hätte, das im Wohnzimmer hing; und dass sie immer so gelacht hat, weil ihre Urgroßirgendwasdings im Louvre auf dem Bild neben Napoleon so verkniffen dreinschaut, weniger weil sie eine Krätzn war, sondern weil sie so schlechte Zähne gehabt hat.

Und so Sachen halt.

Leider kann das Zimmer nicht mit der großen Vergangenheit mithalten, aber immerhin kann ich mir vom Klo aus Kaffee kochen. Es liegt im ersten Stock, und der geschickte Architekt hat es hinbekommen, es wie ein Kellerstüberl wirken zu lassen. Aber es hat sogar zwei Fenster! Das Raumprogramm (Dusche, WC, Kühlschrank, Waschbecken, Microwelle, Schrank, Klo, Bett, Tisch, Sessel) ist für fast fünf Quadratmeter durchaus ambitioniert, aber Alexandre-Theodore Brogniart (er hat auch die Pariser Börse und den Friedhof Pere-Lachaise gebaut) ist nicht zu Unrecht berühmt geworden. Die Grüfte in Pere-Lachaise wirken allerdings geräumiger als mein Zimmer. Die Familie meiner Gastgeberin ist übrigens auch dort aufbewahrt, und jedes Jahr werden die Gräber der Altvorderen von der Stadt Paris üppig mit Blumen geschmückt. Nicht aber die der Altvorderinnen, was meine Gastgeberin so erzürnt hat, dass die der Frau Hidalgo einen Brief geschrieben hat, weil so gehts ja wirklich nicht, n’est-ce pas?!