Pinien und roter Oleander, dazu die Düfte von Zitrone oder Amber der damaligen Parfums: So hat es an der Österreichischen Riviera gerochen, wenn die bessere Gesellschaft an die Adria, nach Grado, auf Sommerfrische fuhr. Vom Horizont grüßt Triest herüber, während man im idyllischen „Bad Ischl am Meer“ die Füße in selbiges taucht. Mondän ist es hier nicht mehr: Das näselnde Hietzinger Hofratsdeutsch wurde vom aus Favoriten mitgebrachten breiten Lachen abgelöst, dazwischen knattern ein paar Deutsche ihre Sprache über den Strand, es riecht nach Sonnenöl und Kokoseis.
Im k&k-Straßenraster steht noch manches Gebäude, das aus Graz oder vom Semmering stammen könnte, auch wenn manchmal nicht mehr viel mehr übrig ist als die Fassade. Der Altstadtkern ist dann die Herzkammer der Gemütlichkeit: kein Gasserl zu eng, dass nicht noch ein Tisch Platz hätte.
„Das Antiquariat schien einerseits nach hinten im Gebäude zu versickern, andererseits wie ein Trichter Eigentümliches aus aller Welt und aller Zeit einzusaugen, um es auf dem ständig überquellenden Pult auszuspucken.“
Wien, Antiquariat ‚Zum Stein der Weisen‘Paris, Galerie Vero-Dodat
…eine Wiener Wunderkammer inspirierte mich so sehr, dass ich sie als Handlungsort für meinen Roman „Das verdammte Manuskript“ nach Paris verpflanzte, wo ich sie in der Galerie Vero Dodat ansiedelte. Dabei war diese historische Passage selbst ein Ort der Wunder, die verstaubten Geschäfte bewahrten wie rätselhafte Schatullen noch in den 1980ern Seltsamkeiten sonder Zahl: historische wissenschaftliche Gegenstände, ein Vogelgerippe unter einem Glassturz oder riesige tropische Falter, wie bunte Blumen in einem Rahmen arrangiert – all das hinter matten Auslagenscheiben in trübem Licht.
Die Idee der Wunderkammern stammt aus der späten Renaissance, als die Sammlungen kurioser Gegenstände noch unwissenschaftlich präsentiert wurden; die fast kindliche Naivität macht aber den Reiz aus. Für mich ist es die rein ästhetische Zusammenstellung der Exponate, die Konzentration purer Schönheit auf engstem Raum, die diese Sammlungen so anziehend macht. In Venedig ist das Museo Furtuny, der frühe Palast des gleichnamigen Bildhauers, Erfinders und Architekten, ein solcher Ort.
Venedig, Museo FortunyVenedig, Museo Fortuny
Nach langer Geringschätzung wurde die Idee der Wunderkammer in letzter Zeit auch von Museen wieder entdeckt. Mit seinen „Boxes“ hat der amerikanische Künstler Joseph Cornell zahlreiche Miniatur-Wunderkammern geschaffen, 2015 waren seine fragilen Arbeiten im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen; in der Sammlung Heidi Horten schufen Hans Kupelwieser und Markus Schinwald mit dem „Tea Room“ einen besinnlichen Raum der Kontemplation, in dem Hortens Sammlung kunstgewerblicher Kleinode hinter kreisrunden Luken gezeigt werden.
Im Atelier des Italienischen Malers Saturno ButtóHeidi Horten Kollektion, Tea RoomWohnung eines Wiener Kunstsammlers
Im faschistischen Italien kam es zu einigen Stadtneugründungen, vorerst in den Pontinischen Sümpfen südöstlich von Rom – deren Trockenlegung war Teil von Mussolinis Arbeitsbeschaffungsprogramm.
Die erste neue Stadt ist Littoria (heute Latina), ihr folgen noch einige weitere „città nuove“ in der Region: fünf Jahre, fünf Städte, ein großer Propagandaerfolg. 1937 wird ein letztes Musterstädtchen angelegt, symbolhaft für die Zusammenarbeit von Großkapital und Faschismus, eine Modellsiedlung für die Zusammenführung von Industrie und Landwirtschaft: Torviscosa. Schilfrohr wird auf riesigen, geometrisch angeordneten Feldern gepflanzt und in der Fabrik zu Zellulose verarbeitet: Hier wird die Versöhnung von Natur und Industrie gefeiert und von Futuristen als „Potenz der Geometrie“ besungen. Geplant für 5.000 Menschen, bewohnt von knapp 3.000 – die Stadt kann die leeren Grundstücke an den großzügigen Achsen nie füllen; so bleibt die pathetische Prachtstraße mit ihren martialischen Sportlerstatuen vor dem Freibad bis heute ein zu breiter Weg durch einen wilden Park.
Toviscosa wurde unter Benito Mussolini 1938 nach Trockenlegung der umliegenden Sümpfe als Prestigeobjekt mit einer riesigen Zellulose-Fabrik und architektonisch durchdachter Arbeitersiedlung im Sinne großer Autarkiebestrebungen angelegt.
Einige der verfallenden Gebäude wurden zwar anlässlich der 50-Jahr-Feier renoviert, trotzdem erinnern die Arkaden entlang menschenleerer Plätze an die irrationalen Bilder eines Giorgio de Chirico. Torviscosa war eine der letzten von zwölf faschistischen Stadtgründungen und damit das Ende der Idee, die Arbeiter in autarken GartenstadtIdyllen mit Fabrik, Freizeitanlagen, Theater, Sportstätten und Restaurants unterzubringen und damit schlussendlich zu kontrollieren.
Massiv wachsen die florentiner Bürgerhäuser aus dem Boden, erst weit oben verzärteln sie sich in luftige toscanische Villen mit eleganten Terrassen. Schmal sind die Gassen, die die wuchtigen Fundamente den Menschen gönnen. Dann, plötzlich: Ein Traum aus Licht, aus den schwerdunklen Hausgebirgen steigt zart der Dom mit seiner flirrenden Fassade, die gigantische Kuppel liegt wie eine Blütenknospe über den Dächern aus Terrakotta: das große Wunderwerk der ausklingenden Gotik.
Noch eindringlicher, fast körperlich spürbar aber die Anwesenheit der großen europäischen Genies. Früher als im rohen Norden hat hier das sanfte Licht der Renaissance das Dunkel des Mittelalters vertrieben, und Männer wie Galileo Galilei, Leonardo da Vinci oder Michelangelo Buonarroti haben in Florenz die ersten Schritte in eine neue Zeit gewagt. Im ihm gewidmeten Museum ist Galileo sogar persönlich anwesend: hier bewahrt man seinen Zeigefinger unter einem Glassturz.
Florenz, Uffizien, Michelangelo BuenarrotiFlorenz, UffizienFlorenz, Uffizien, Francesco Petrarca
Dann Siena: Schon der Name eine Verheißung, er klingt nach Sehnsucht, nach Italien, nach Toscana. In der uralten Metropole öffnen sich die Gassen auf das Wohnzimmer der Stadt: Die Piazza del Campo ist der schönste Platz der Welt und Tribüne für das Rathaus, sein Turm eine Kerze, die bei Sonnenuntergang von unten nach oben abbrennt, bis zuletzt die Turmspitze golden aus dem Schatten glüht.
Siena, Piazza del Campo
Während die Stadt die Wochen zum großen Ereignis zählt, veranstalten die Schwalben zwischen den Fassaden ihren eigenen Palio; ihre Flugkunst und das Leben darunter ist aufregend genug, um stundenlang am selben Ort – einem kleinen Balkon eines Cafés – zu verharren.
Die Häuser hier sind mittelalterlich, die Gassen versickern in den muffigen Häusern, die über den engen Wegen zusammenwachsen in hundert Bögen. Man wohnte nicht großzügig damals, solange es das weltliche Leben betraf – der wahre Luxus war den Häusern Gottes vorbehalten, und hier ist sein Domizil besonders luxuriös. Kaum anderswo wird das für mich so unnachvollziebare Konzept von Religion deutlicher: Das diesseitige Leben ist karg und freudlos, erst im Jenseits geht’s dann so richtig los. Allerdings hat der Glauben die schönsten Kunstwerke hervorgebracht, die die Menschen je geschaffen haben, und der Dom von Siena wäre der Höhepunkt geworden – hätte die Pest als „Strafe Gottes“ nicht die Fertigstellung verhindert: Die Pracht wurde wohl sogar ihm zu viel.
Später in der Nacht morsen die Grillen ihre Geheimbotschaften in die Luft; die Glühwürmchen antworten mit blinkenden Lichtsignalen. Der Salamanderkönig wartet in der Hügeln um Siena auf Regen, bis dahin huscht ein Hofstaat aus hundert Eidechsen über die heißen Steine. Am hohen Horizont sind verfallende Dörfer in den Himmel geklebt: man seufzt „O, wie schön“, und die Zypressen stehen als Rufzeichen in der Landschaft.