Im Bauch der Burg: Abseits der plüschigen Logen und des goldenen Stucks herrscht geschäftige Betriebsamkeit, ich treffe auf Handwerker aller Gewerke. Am modernen Schnürboden sirren die Drahtseile, wenn Kulissen verschoben werden. Die Drehbühne bewegt sich fast lautlos, der ganze Bühnenraum ändert sein Volumen, seine Anordnung auf Knopfdruck. Tief unten dann die Requisitenlager, zwischen Shakespeares Richard III. und Goethes Faust liegen keine Welten, sondern nur zwei Regalbretter.
Zuletzt erforsche ich die Lüftungsanlage: Hightech der Gründerzeit. Ein riesiger Lüftungskanal führt vom Volksgarten ins „Haus am Ring“ , die Luft strömt gleichmäßig durch den Zuschauerraum und entweicht an der höchsten Stelle des Daches. Der weithin sichtbare „Blasengel“ dreht sich dort mit dem Wind, und bei der Gelegenheit entdecke ich noch ein skurriles Detail: Hinter den stolzen Figuren der Ringstraßenfassade verbergen sich Umkleidekabinen fürs Sonnenbad der Hausarbeiter!
In den Sozialen Medien ist mir die Szene der verhinderten Autoren aufgefallen, um die herum sich eine regelrechte Industrie gebildet hat – in Schreibworkshops, Kursen und Coachings bestärken sie sich so lange, bis sie im Eigenverlag (also auf eigene Kosten) ihr Buch auf einen nicht vorhandenen Markt bringen. Die Buchmesse ist dann der Garten voller hochhängender Trauben, so nah kommt man den Profis sonst nirgendwo, und wenn man am Stand von Suhrkamp ein Büchlein ersteht, hat man das Gefühl, direkt aus der Quelle getrunken zu haben.
Selbst schreibe ich zwar recht viel, fühle mich aber nicht direkt als Autor. Ich empfinde Schreiben mehr Notwendigkeit und Handwerk denn als große Kunst – wenn es etwas zu sagen gibt finden sich die Worte von selbst, l’art pour l’art liegt mir nicht so.
Von einem meiner Verlage wurde ich zu Propagandazwecken auf die Buchmesse befohlen. Ich fühle dann, doch irgendwie dabei zu sein, schon die Möglichkeit, seine Jacke im Messestand des Verlages verstauen zu dürfen schafft ein Gefühl der Gildezugehörigkeit – auch wenn die Signierstunde zur Resignierstunde wird, weil doch keiner das Buch kaufen möchte.
Neben den Platzhirschen gibt es eine seltsame Gruppe von Spezialverlagen, hier wähnt man sich auf der Esoterikmesse, hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat ihre Koje neben dem Christlichen Gesundheitswerk, nur getrennt durch „Happy Science“ (mit Wissenschaft haben die lächelnden Asiaten aber wohl wenig zu tun). Hier steht die Drückerkolonne wie vor einer venezianischen Pizzeria und zieht die Messebesucher in Gespräche – die meisten nehmen deshalb lieber die nächste Gasse. Auch sonst Skurrilitäten: „Fleisch“, eigentlich ein Gesellschaftsmagazin, erhielt den Stand zwischen Kochbox und Espressomobil, offensichtlich in Verkennung des Themas.
Will man zum Ausgang, muss man erst durch die Halle von Thalia – ähnlich wie ein Museumsshop, hier werden die in Stimmung gekommenen Autoren nochmal gemolken und mit dem konfrontiert, was sie nie erreichen werden: Bücher, die auch tatsächlich verkauft werden.
Ich hatte mal eine Umsatzsteuerprüfung, die Beamtin – ich verstand mich gut mit ihr – hat sich auch meine Kleinbeträge genau angesehen und stieß dabei auf eine Rechnung über 200 Kondome. Ich hatte vorher die eigenartigsten Ausgaben souverän erklärt (als Dekorateur und Fotograf braucht man die absurdesten Dinge); nun meinte ich mit schmierigem Grinsen: „Sie wissen doch, was man über Fotografen und Models so sagt – das gehört praktisch zum Beruf und ist daher eine Betriebsausgabe“. Sie schnappte nach Luft, aber kurz vor der Ohnmacht habe ich ihr dann doch die Agenturfotos gezeigt, die mit diesem Rohmaterial entstanden.