Mussolinis letzte Stadt

Mussolinis letzte Stadt

Im faschistischen Italien kam es zu einigen Stadtneugründungen, vorerst in den Pontinischen Sümpfen südöstlich von Rom – deren Trockenlegung war Teil von Mussolinis Arbeitsbeschaffungsprogramm.

Die erste neue Stadt ist Littoria (heute Latina), ihr folgen noch einige weitere „città nuove“ in der Region: fünf Jahre, fünf Städte, ein großer Propagandaerfolg. 1937 wird ein letztes Musterstädtchen angelegt, symbolhaft für die Zusammenarbeit von Großkapital und Faschismus, eine Modellsiedlung für die Zusammenführung von Industrie und Landwirtschaft: Torviscosa. Schilfrohr wird auf riesigen, geometrisch angeordneten Feldern gepflanzt und in der Fabrik zu Zellulose verarbeitet: Hier wird die Versöhnung von Natur und Industrie gefeiert und von Futuristen als „Potenz der Geometrie“ besungen. Geplant für 5.000 Menschen, bewohnt von knapp 3.000 – die Stadt kann die leeren Grundstücke an den großzügigen Achsen nie füllen; so bleibt die pathetische Prachtstraße mit ihren martialischen Sportlerstatuen vor dem Freibad bis heute ein zu breiter Weg durch einen wilden Park.

Toviscosa wurde unter Benito Mussolini 1938 nach Trockenlegung der umliegenden Sümpfe als Prestigeobjekt mit einer riesigen Zellulose-Fabrik und architektonisch durchdachter Arbeitersiedlung im Sinne großer Autarkiebestrebungen angelegt.

Einige der verfallenden Gebäude wurden zwar anlässlich der 50-Jahr-Feier renoviert, trotzdem erinnern die Arkaden entlang menschenleerer Plätze an die irrationalen Bilder eines Giorgio de Chirico. Torviscosa war eine der letzten von zwölf faschistischen Stadtgründungen und damit das Ende der Idee, die Arbeiter in autarken GartenstadtIdyllen mit Fabrik, Freizeitanlagen, Theater, Sportstätten und Restaurants unterzubringen und damit schlussendlich zu kontrollieren.

Bilder: https://www.viennaslide.com/features/Torviscosa/

Florenz, Kathedrale Santa Maria del Fiore - Florence, Cathedral Santa Maria del Fiore

Italienische Reise

Massiv wachsen die florentiner Bürgerhäuser aus dem Boden, erst weit oben verzärteln sie sich in luftige toscanische Villen mit eleganten Terrassen. Schmal sind die Gassen, die die wuchtigen Fundamente den Menschen gönnen. Dann, plötzlich: Ein Traum aus Licht, aus den schwerdunklen Hausgebirgen steigt zart der Dom mit seiner flirrenden Fassade, die gigantische Kuppel liegt wie eine Blütenknospe über den Dächern aus Terrakotta: das große Wunderwerk der ausklingenden Gotik.

Noch eindringlicher, fast körperlich spürbar aber die Anwesenheit der großen europäischen Genies. Früher als im rohen Norden hat hier das sanfte Licht der Renaissance das Dunkel des Mittelalters vertrieben, und Männer wie Galileo Galilei, Leonardo da Vinci oder Michelangelo Buonarroti haben in Florenz die ersten Schritte in eine neue Zeit gewagt. Im ihm gewidmeten Museum ist Galileo sogar persönlich anwesend: hier bewahrt man seinen Zeigefinger unter einem Glassturz.

Dann Siena: Schon der Name eine Verheißung, er klingt nach Sehnsucht, nach Italien, nach Toscana. In der uralten Metropole öffnen sich die Gassen auf das Wohnzimmer der Stadt: Die Piazza del Campo ist der schönste Platz der Welt und Tribüne für das Rathaus, sein Turm eine Kerze, die bei Sonnenuntergang von unten nach oben abbrennt, bis zuletzt die Turmspitze golden aus dem Schatten glüht.

Siena, Piazza del Campo

Während die Stadt die Wochen zum großen Ereignis zählt, veranstalten die Schwalben zwischen den Fassaden ihren eigenen Palio; ihre Flugkunst und das Leben darunter ist aufregend genug, um stundenlang am selben Ort – einem kleinen Balkon eines Cafés – zu verharren.

Die Häuser hier sind mittelalterlich, die Gassen versickern in den muffigen Häusern, die über den engen Wegen zusammenwachsen in hundert Bögen. Man wohnte nicht großzügig damals, solange es das weltliche Leben betraf – der wahre Luxus war den Häusern Gottes vorbehalten, und hier ist sein Domizil besonders luxuriös. Kaum anderswo wird das für mich so unnachvollziebare Konzept von Religion deutlicher: Das diesseitige Leben ist karg und freudlos, erst im Jenseits geht’s dann so richtig los. Allerdings hat der Glauben die schönsten Kunstwerke hervorgebracht, die die Menschen je geschaffen haben, und der Dom von Siena wäre der Höhepunkt geworden – hätte die Pest als „Strafe Gottes“ nicht die Fertigstellung verhindert: Die Pracht wurde wohl sogar ihm zu viel.

Später in der Nacht morsen die Grillen ihre Geheimbotschaften in die Luft; die Glühwürmchen antworten mit blinkenden Lichtsignalen. Der Salamanderkönig wartet in der Hügeln um Siena auf Regen, bis dahin huscht ein Hofstaat aus hundert Eidechsen über die heißen Steine. Am hohen Horizont sind verfallende Dörfer in den Himmel geklebt: man seufzt „O, wie schön“, und die Zypressen stehen als Rufzeichen in der Landschaft.